Wort zum Sonntag:

Entspannt euch!

Eine Legende erzählt, dass der Apostel Johannes im Alter gern mit einem zahmen Rebhuhn spielte. Eines Tages besuchte ihn ein Jäger und wunderte sich, dass ein so wichtiger Mann wie ein Kind mit einem Vogel spielte. Der Jäger fragte den Apostel: „Du könntest große und wichtige Dinge tun und spielst mit einem Rebhuhn. Warum vertust du die kostbare Zeit mit einem nutzlosen Spiel?“ Johannes schaute den Jäger nachdenklich an und fragte zurück: „Weshalb ist der Bogen auf deinem Rücken nicht gespannt?“ „Der Bogen würde seine Spannkraft verlieren, wenn er immer gespannt wäre. Wenn ich ihn beim Jagen brauchte und einen Pfeil abschießen wollte, hätte er keine Kraft mehr!“ - Johannes antwortete: „Das Leben ist wie ein Bogen. Es kann nicht immer angespannt sein. Sonst würde es seine Kraft verlieren. Jeder Mensch braucht, um seine Spannkraft zu erhalten, die Phasen der Entspannung. Und wenn er dann wieder gefordert ist, hat er die nötige Kraft zum Handeln und Wirken. Gott will keine abgehetzten und überforderten Leute. Gott gönnt uns die Ruhepausen. Und die Zeit, die wir uns zur Stille und Ruhe, zum Spielen und Feiern nehmen, ist keine verlorene Zeit. Schöpferische Kräfte wachsen aus der Ruhe. Erschöpfungszustände kommen aus Rastlosigkeit und Hetze. Gott möchte, dass wir schöpferische Menschen und nicht erschöpfte Leute sind.“

Wie oft haben Sie es sich vorgenommen, das nächste Weihnachten entspannter und mit weniger Hektik und Druck anzugehen? Hier ist sie, die neue Chance! Planen Sie Ruhezeiten ein, in denen Sie Kraft schöpfen, beten, meditieren, basteln, schrauben. Besuchen Sie Gottesdienste, Andachten, Konzerte, den Sternenzeit-Weg. Lesen sie den Kindern gute Adventsgeschichten vor. Planen Sie Zeiten für Sie allein ein. Auch Jesus sagte seinen Jüngern: „Kommt mit, wir gehen jetzt an einen einsamen Ort, wo wir für uns sind. Dort könnt ihr euch ein wenig ausruhen.“ (Markus 6,31) Also: Nehmen Sie auch Jesus mit in ihre Ruhezeiten!

Pfarrer Hartmut Babucke, Johanneskirche Kempten

„Wort zum Sonntag" in der Allgäuer Zeitung 15./16. November 2025

 

 

Vier Feste – eine Botschaft

Die bunten Blätter fallen, der Nebel wird dichter, das Licht weicher, und über allem liegt eine Ahnung von Vergänglichkeit. Zu dieser herbstlichen Stimmung passen auch die Feste und Gedenktage, die wir an diesem Wochenende begehen: Halloween, Reformationstag, Allerheiligen und Allerseelen. So gegensätzlich sie auf den ersten Blick erscheinen - es gibt doch auch einiges, was sie verbindet. Denn es sind Tage, an denen wir spüren: Das Leben ist mehr als das, was wir sehen. Halloween zeigt das auf seine ganz eigene, manchmal schrille Weise. Kinder ziehen verkleidet durch die Straßen, Skelette und Gespenster schmücken die Vorgärten. Was früher ein altes Schwellenfest war, das an die Nähe der Toten erinnerte, ist heute ein buntes Spiel mit der Angst. „Süßes, sonst gibt’s Saures!“ Vielleicht steckt darin doch ein tiefer Wunsch: Das Dunkle nicht zu verdrängen, sondern ihm lachend zu begegnen - weil wir ahnen, dass es mehr gibt als Furcht.

Der evangelische Reformationstag erinnert an Martin Luther, der sich gegen eine Kirche stellte, die mit Angst arbeitete. Er entdeckte: Gott will nicht, dass wir uns fürchten, sondern dass wir ihm vertrauen. Wir müssen und können uns nicht selbst erlösen - denn wir sind schon von Gott geliebt. Glaube ist also Freiheit und nicht Angst, weil Gnade größer ist als Schuld und weil Gott sie uns bedingungslos schenkt. Und dadurch sind alle, die auf Gott vertrauen „Heilige“.

An Allerheiligen erinnern sich katholische Christ:innen an Menschen, die zu Vorbildern des Glaubens wurden, weil ihr Leben und Wirken von Gottes Liebe geprägt war: Menschen, die anderen geholfen, Frieden gestiftet, Hoffnung gegeben haben. Und Allerseelen schließlich schenkt Raum für die Erinnerung an die, von denen wir schon Abschied nehmen mussten, und gibt Hoffnung, dass ihre Liebe nicht verloren ist, sondern in Gott geborgen bleibt.

Vier Feste und eine Botschaft: Zwischen Furcht und Hoffnung leuchtet Gottes Liebe - und sie bleibt. Wie es der Apostel Paulus sagt: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes.“ (Römer 8,38-39)

Pfarrerin Andrea Krakau, St.-Mang-Kirche Kempten

„Wort zum Sonntag" in der Allgäuer Zeitung 31. Oktober / 1./2. November 2025

 

Die O-bis-O-Regel

„Von Oktober bis Ostern brauchst du Winterreifen am Auto.“ So hat man es mir bei meinem Umzug ins Allgäu vor vielen Jahren beigebracht. So lautet die O-bis-O-Regel, die man sich gut einprägen kann. Wobei so einfach ist es dann doch nicht: Das zu wissen, ist nämlich eine Sache, es auch umzusetzen, ist eine ganz andere. Noch liegen meine Winterreifen schön aufgestapelt in der Garage. Man müsste sich halt mal Zeit nehmen, das Werkzeug heraussuchen und sie endlich aufziehen.

Der Predigttext für diesen Sonntag kennt diesen feinen Unterschied zwischen Wissen und Tun. Da heißt es: Was hilft’s, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? (Jak 2,14). Jakobus stellt fest, nur zu wissen, was im Glauben richtig wäre - zum Beispiel Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit - reicht nicht. Man muss es auch tun. Glaube ohne Handlung ist leer. Um im Bild zu bleiben: So hilfreich wie Sommerreifen im Schnee.

Wie ein tatkräftiger Glaube aussehen kann? Sicher vielfältig. Wie wäre es die O-bis-O-Regel einfach zu erweitern? Von Oktober bis Ostern sind die Tage kürzer, kälter. Viele Menschen verbringen einen Großteil dieser Zeit drinnen, in ihren Wohnungen und Häusern. Ich glaube, dass die Einsamkeit in dieser Zeit besonders groß ist, auch bei uns im Allgäu. Man könnte die frisch aufgezogenen Winterreifen nutzen für eine Besuchsfahrt bei Freunden und Familie - oder einfach mal bei den Nachbarn klingeln, vielleicht brauchen sie ja noch Hilfe bei der Montage? Von O-bis-O ist Winterreifen- und Besuchszeit! Das sind sicher lohnenswerte Werke.

Pfarrer Tim Sonnemeyer, Christuskirche Kempten

„Wort zum Sonntag" in der Allgäuer Zeitung 18./19. Oktober 2025

 

Erntedank macht glücklich

Jedes Jahr bringt der Landwirt Getreide, Kartoffeln, Gurken, Äpfel, Birnen in die Kirche und legt sie mit der Pfarrerin und dem Mesner sorgfältig vor den Altar. Er blickt auf die Gaben und dann aufs Kreuz. „Da hat es Gott wieder gut mit uns gemeint“, sagt er dankbar. „Und Sie meinen es wieder gut mit uns“, sagt die Pfarrerin. „Dankbarkeit und die Gaben teilen ist doch das Wichtigste“, antwortet er. Dabei muss ich an eine Geschichte eines anderen Bauern denken. Er hat sich angewöhnt, morgens, bevor er den Hof verlässt, ein paar Bohnen in seine Hosentasche zu stecken. Wenn er etwas besonders erlebt hat, hält er kurz inne, genießt z. B. das Kitzeln der Sonne im Gesicht, das Zwitschern der Vögel, den Geruch von gemähtem Gras, das freundliche Lächeln des Nachbarn und lässt dann er eine Bohne aus der einen in die andere Hosentasche wandern.

Am Abend zählt er sie aus seiner Danketasche. Manchmal sind es viele, an anderen Tagen nur wenige. Er staunt, dass es täglich Momente des Glücks für ihn gab, für die er „Danke“ sagen konnte. Die beiden Geschichten inspirieren mich. Oft denke ich morgens nach dem Aufwachen:

„Mal sehen, mit was mich Gott heute überrascht. Mal sehen, wen ich heute ein bisschen glücklicher machen kann. Vor dem Einschlafen blicke ich auf den Tag zurück, staune, was wieder Schönes dabei war, und bin Gott dafür einfach nur dankbar.

Erntedank macht mich glücklich.

Dekanin Dorothee Löser, Dekanat Kempten

„Wort zum Sonntag" in der Allgäuer Zeitung 4./5. Oktober 2025

 

Ein Sprengstoff anderer Art

München im August 2025. Ich stehe im Sicherheitsbereich des Flughafens und warte darauf, dass mein Handgepäck auf dem Band die Kontrolle passiert. Der kritische Blick des Kontrolleurs und das Aussortieren zweier flüssiger Gepäckstücke signalisieren mir, dass ihm nichts entgeht, was nicht regelkonform ist. Als der Kontrolleur schließlich nach den Büchern greift, die ich in eine Schutzhülle gepackt hatte, runzle ich die Stirn und denke: „Wozu die jetzt auch noch auspacken? Es ist doch alles auf dem Bildschirm zu sehen.“ Noch während ich diese Gedanken innerlich ausspreche, nimmt er das oberste Buch und meint, dass er es testen müsse. Das Testobjekt: Meine Bibel. Gesagt – getan. Sekunden später drückt er mir meine Bibel wieder in die Hand. Auf meine Frage hin, worauf er sie denn getestet hätte, antwortet er knapp: auf Sprengstoff. Meine Bibel – ein Sprengstoff-verdächtiges Objekt? Definitiv nicht, höre ich mich sagen. Doch schon nach dem nächsten Atemzug stelle ich das Gedachte in Frage: „Obwohl – ist in der Bibel nicht doch jede Menge Sprengstoff drin? Also Stoff, der etwas sprengen will. Der in unserem Leben manches sprengen möchte, was uns in unseren Lebensmöglichkeiten blockiert: manche verkehrte Sichtweise, manches tiefsitzende Misstrauen, manche unverarbeitete negative Erfahrung, manche Ängste, ja im Grunde all das, was uns alle Energie raubt und uns am wahren Leben hindert. Auch der bekannte Journalist Peter Hahne greift den Gedanken von der Bibel als Sprengstoff auf. In seinem Buch „Niemals aufgeben“ hält er fest, dass die Bibel wie das Dynamit von Alfred Nobel ist. „Dynamit“ – dieser Begriff leitet sich von dem griechischen Wort dynamis – Energie, Kraft, - ab. Gottes Wort will kraftvoll und stärkend auf unser Leben einwirken, wenn wir ausgepowered, erschöpft und mutlos sind.

Die Bibel, Gottes Wort - ein Sprengstoff ganz anderer Art. Einer, der nicht vernichten will, sondern der zum Leben verhelfen will. Lassen Sie es uns daher dem Kontrolleur gleichtun und nach dem Sprengstoff der Bibel suchen. Gelegenheiten gibt es zur Genüge. Zum Beispiel im Gottesdienst am morgigen Sonntag und wo immer wir sonst SEIN Wort hören.

Einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

Pfarrerin Jutta Schröppel, Koordination Suizidprävention und Seelsorge am BKH Kempten

„Wort zum Sonntag" in der Allgäuer Zeitung 20./21. September 2025

 

 

Evangelischer Hochmut kommt vor dem Fall

In meiner Familie gibt’s das nicht“, dachte ich als Teenager, wenn es um das Thema „Seitensprünge“ ging - bis ich erfuhr, dass mein Großvater eine Affäre hatte und dass meine Tante nur nicht geheiratet hat, weil sie selbst die Geliebte eines verheirateten Mannes war. Uns Kindern wurde etwas vorgespielt. Man redete erst darüber, als es gar nicht mehr zu verheimlichen war. Ich dachte, wir wären besser und zeigte mit dem Finger auf die anderen. Die Heimlichtuerei und der Umgang mit dem Thema haben mich verletzt. Es gab keinen Grund mehr, sich als eigene Familie besser zu fühlen als andere. Die Finger zeigten auf uns selbst. Wie habe ich mich für meinen Hochmut geschämt!

„In unserer Kirche gibt’s das so nicht“, dachten wir Evangelischen auch lange, wenn es um die Verbrechen der sexualisierten Gewalt ging. In viel schlimmerer Art und Weise erlebe ich gerade in meiner evangelischen Kirche den Umgang mit dieser Katastrophe. Wir haben oft gesagt, das Problem sexualisierter Gewalt sei vor allem ein Problem der katholischen Kirche. Bei uns sei alles viel besser. Wir hätten schließlich keinen Zölibat, und die männlichen Pfarrer hätten ja ihre Familien. Und gemeinsam regten wir uns über den Umgang der katholischen Kirche mit diesen Verbrechen auf. Hochmut kommt vor dem Fall! Die Finger zeigen auf uns selbst. Wie schäme ich mich für diesen Hochmut!

Schande über uns, dass Menschen missbraucht wurden, die uns vertrauten! Schande über uns, dass man ihnen nicht zugehört hat und eher den fast ausschließlich männlichen Tätern geglaubt hat! Schande über uns, dass man die Opfer noch einmal getreten hat, indem man die Aufarbeitung aus fadenscheinigen Gründen ausgebremst hat! Kosten und mangelndes Personal sind fadenscheinige Gründe! Dann müssen wir eben den Gürtel enger schnallen, Gelder und Personal umverteilen! Wir sind die Tempeldiener und Priester, die am unter die Räuber geratenen Menschen vorbeigehen und auf den barmherzigen Samariter spekulieren! Und Schande über uns, dass die Opfer noch einmal geschlagen werden, indem sie hingehalten werden und um ihre Entschädigung kämpfen müssen! Unser Chef Jesus sagt dazu: „Wer aber einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen, die mir vertrauen, zu Fall bringt, für den wäre es noch das Beste, mit einem Mühlstein um den Hals ins tiefe Meer geworfen zu werden.“ (Matthäus 18,6)

Und am Sonntag singen wir wieder unsere Lieder. Gott sagt im Predigttext für den Sonntag dazu: „Ich hasse eure Feiern, geradezu widerwärtig sind sie mir, eure Opferfeste verabscheue ich … Eure lauten Lieder kann ich nicht mehr hören, verschont mich mit eurem Harfengeklimper. Setzt euch lieber für die Gerechtigkeit ein! Das Recht soll das Land durchströmen wie ein nie versiegender Fluss.“ (Amos 4,21-24) Tut nicht fromm, sondern seid es!

In was für einer Kirche bin ich denn, dass sogar Gott selbst gegen uns ist! Ich erlebe uns als unbußfertig. Buße heißt, die Konsequenzen tragen: Und wenn es unserer Kirche den letzten Cent und meine Pension kostet, und wenn es uns das letzte bisschen Ansehen kostet: Wir müssen uns für Gerechtigkeit für die Opfer einsetzen und weitere Opfer verhindern! Mir geht es nicht um mein Ansehen als Pfarrer. Ich bin kurz davor, meinen Beruf an den Nagel zu hängen, so schäme ich mich. Unser Ruf ist mir egal. Mir geht es um die Opfer! Jedes Opfer der Heuchelei ist eines zu viel! Was fordert Gott von uns? Demut, Bescheidenheit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Armut! Das verlangen Gott und die Menschen zu Recht von uns Kirchenmännern! Nur um das zu leben bleibe ich in meiner Kirche.

Pfarrer Hartmut Babucke (Johanneskirche Kempten / Buchenberg)

Wort zum Sonntag in der Allgäuer Zeitung, 10./11. Febraur 2024