Wort zum Sonntag

Bei Gott kommen die Kleinen ganz groß raus

Am Mittwoch, 20. September, war Weltkindertag. In einem Kalender mit witzigen Sprüchen wurde ich daran erinnert. In meinen sonstigen Lebensbezügen – angefangen mit der Zeitung am Morgen – habe ich wenig bis nichts davon wahrgenommen. Und eigentlich soll der Weltkindertag doch dazu dienen, auf die Rechte und besonderen Bedürfnisse von Kindern aufmerksam zu machen …

Mir fällt Christina Brudereck ein, die einmal gesagt hat: „Wir könnten ja sagen, ein Tag ist doch nur ein Tag: Ein Tag für die Umwelt und 364 gegen die Umwelt. Ein Tag derer, die behindert werden und 364 gehören denen, die behindern. Ein Tag des Kindes und 364 gehören den Erwachsenen. Ein Weltfrauentag. Gar nicht auszudenken, wem die anderen 364 alle gehören.“

Ja, ein Tag ist nur ein Tag. Aber daneben wissen wir: Ein Tag kann den Lauf der Geschichte verändern, gründlich. Die Bibel sagt: 1000 Jahre sind wie ein Tag. Einer hat Kraft für 10 mal 100. Einer hat mehr in sich, als wir denken. Wenn das stimmt, dann lassen Sie uns die 1000 glauben, damit jeder Tag – und auch der Weltkindertag – nicht nur ein Tag ist.

Konkret bedeutet dieses Wortspiel für mich: Ich halte an dem Glauben und der Hoffnung fest, dass Kindern immer mehr mit einer Haltung des Ernstnehmens, der Wertschätzung, des Respekts, der Liebe begegnet wird. Durch mich, durch uns und weltweit. Und dass diese Haltung dann praktische Schritte im Blick auf ihre Bedürfnisse und Rechte nach sich zieht. Etwa in dem Sinn, wie wir es im Urlaub in Belgien erlebt haben, auf einem Skater- und Parcours-Platz in Gent. Dort wurde abends das Licht nicht mit einem Schlag gelöscht. Vielmehr wurde es nach und nach heruntergefahren und dann erst ausgeschaltet. Sodass Kinder (und Jugendliche) Zeit hatten, eine letzte Runde zu drehen, ihre Sachen zu packen, sich zu verabschieden ... – WOW! Für mich Ausdruck der angesprochenen Haltung.

Diese Haltung sehe ich auch bei Jesus, der sich so gut wie nie mit den Reichen und Mächtigen umgeben hat. Er hatte andere Prioritäten. Und immer wieder waren Kinder dabei. Wertschätzend ist er mit ihnen umgegangen. In der bekanntesten Situation, der Kindersegnung, stellte Jesus sie sogar als Vorbild für Erwachsene dar: »Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hin-dert sie nicht daran! Denn für Men-schen wie sie ist das Reich Gottes da.“ (Markus 10,14).

Vielleicht hat er es auch deswegen getan, weil Kinder Eigenschaften haben, die uns Erwachsenen oft abhandengekommen sind: Wenn es um Glauben, Vertrauen und Liebe geht, sind sie unkompliziert. Sie sind wie sie sind. Gerade raus. Und genau so sind sie Jesus willkommen. Ja, bei ihm / bei Gott kommen die Kleinen ganz groß raus!
Nicht nur am Weltkindertag.

Martin Weinreich, Pfarrer an der Christuskirche Kempten 

Wort zum Sonntag in der Allgäuer Zeitung, 23./24. September 2023

 

In der Krise nicht allein

„Mir hat es so den Boden unter den Füßen weggezogen,“ erzählt mir mein Gegenüber, als wir uns zu einem Gespräch treffen. Und dann sprudelt es unter Tränen nur so aus ihr heraus. Jahrelang habe sie auf einer sicheren und gut bezahlten Stelle gearbeitet, sagt sie. Tag für Tag, nicht einfach nur, weil sie eine finanzielle Sicherheit hatte und pünktlich am Monatsende ihr Gehalt auf dem Konto einging, sondern weil sie die Arbeit gerne machte. Ja mehr noch, weil sie ihren Beruf mit Herzblut ausübte. Aber jetzt, mit der Mitteilung, dass die Firma, für die sie arbeitet, insolvent ist und geschlossen wird, sei plötzlich ihre ganze berufliche Existenz zusammengebrochen.

Mit zittriger Stimme fährt sie fort und teilt mit, dass das weitreichende Folgen für ihr ganzes Leben hätte. Weil mit dem Verlust ihres Jobs nicht nur ihre finanzielle Sicherheit verloren geht, sondern weil mit dem Verlust der Aufgabe, die sie so liebte, auch der Sinn verloren geht. Und weil sie, die sich in der Arbeitswelt jetzt neu orientieren müsse, große Zweifel hat, dass sie in ihrem Alter nochmal Fuß fassen könne.

Liebe Leserinnen und Leser, das ist nur eines von vielen Beispielen, das verdeutlicht, wie unerwartete Lebensereignisse einem Menschen von jetzt auf dann den Boden unter den Füßen wegziehen können. Alles erscheint ausweglos, wenn die Zukunft nur noch düster ist und man keine Perspektive mehr sieht. Eine große Ohnmacht und eine tiefe Verzweiflung machen sich breit. „Für mich gibt es nichts mehr in dieser Welt,“ so lautet nicht selten die Lebensbilanz in einer schweren Krise. In solchen Momenten tiefster Ohnmacht und Verzweiflung kann es schwer sein, Hoffnung zu bewahren. Doch unser Glaube erinnert uns daran, dass es selbst in den dunkelsten Stunden des Lebens eine berechtigte Hoffnung gibt. Der Beter des 34. Psalms nennt den Grund für diese Hoffnung. Er hält fest: „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.“

Diese Worte wollen uns ermutigen, darauf zu vertrauen, dass Gott gerade dann da ist und helfend zur Seite steht, wo wir in größter Not sind und weder ein noch aus wissen. Gott überlässt die, die zerbrochenen Herzens sind und ein zerschlagenes Gemüt haben, nicht sich selbst, sondern gibt ihnen Kraft und stellt ihnen Menschen an die Seite, die sie begleiten.

Der heutige Welttag zur Suizidprävention will uns daran erinnern, dass wir in der größten Not nicht allein gelassen sind, sondern mit der Unterstützung durch andere rechnen dürfen. Allen voran mit der des Krisendienstes Schwaben. Aber auch mit der Unterstützung durch Beratungseinrichtungen sowie durch Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Region. Zögern Sie nicht, dort anzurufen, wenn der Boden unter Ihren Füßen ins Schwanken geraten ist oder wenn Ihnen der Boden unter den Füßen komplett weggezogen ist.

Pfarrerin Jutta Schröppel, evangelische Suizidprävention und Klinikseelsorge am BKH Kempten

Wort zum Sonntag in der Allgäuer Zeitung, 9./10. September 2023